In der Psychologie und der Pädagogik bestehen wenig Zweifel: Menschen lernen angemessen zu handeln, wenn auf eine Handlung eine Konsequenz erfolgt. Einerseits werden dabei soziale Verhaltensweisen erworben, wenn eine Handlung positive Folgen nach sich zieht, sprich, wenn man Erfolg damit hat. Andererseits erlernen wir jene Handlungen zu vermeiden, die zu negativen Konsequenzen führen. Lernen am Erfolg bzw. Lernen durch Verstärkung sind Erklärungsmodelle, die man in der Psychologie und Pädagogik anwendet, um menschliches Verhalten zu erklären und, letztendlich, um dieses steuern zu können [1].
Wendet man dieses Wissen auf Verkehrsdelikte an, dann müsste es eigentlich schon genug Verkehrsunfälle gegeben haben, aus denen jede*r den Schluss ziehen kann: wenn ich zu schnell und zu aggressiv Auto fahre, dann besteht das Risiko, mich oder einen anderen Verkehrsteilnehmer zu verletzen, wenn nicht gar zu töten. Das entspricht einer sog. negativen Konsequenz. Dieser Zusammenhang ist verhältnismäßig einfach herzuleiten und wird zudem noch einer weiteren Lernart gerecht, auf die wir Menschen uns gerne berufen: Lernen durch Einsicht. Der Mensch ist schließlich ein selbstreflexives Wesen und zudem noch mit Verstand ausgestattet. Alles in allem ist es denkbar, dass das Erkennen dieser Zusammenhänge - ohne kognitive Höchstleistungen vollbringen zu müssen - zu einem entsprechenden Fahrverhalten führen könnte, nämlich umsichtig und defensiv zu fahren, um das Risiko andere Verkehrsteilnehmer und sich selbst zu verletzen, so gering wie möglich zu halten.
Last but not least hat in Deutschland hoffentlich jede*r der Auto fährt, zumindest in der Theorie einen Führerschein und hat ein paar Mal in seinem/ihrem Leben die Länge des Bremswegs [2] ausrechnen müssen. Und auch diese Rechnung ist nicht die komplizierteste: Geschwindigkeit x Geschwindigkeit/ 100. Im Fall von 400 km/h wären das 1700 Meter Bremsweg. Das sind fast 2 Kilometer. Dabei sind Reaktionsgeschwindigkeit, Straßenbelag, Qualität der Reifen und Witterungsverhältnisse noch nicht mit eingerechnet. Aussagekräftig ist das Ergebnis dieser Rechnung nicht nur im höheren Geschwindigkeitsbereich: bei einer Geschwindigkeit von 30 km/h ergibt sich ein Bremsweg von fast 10 Metern. Der Anhalteweg wiederum, der Reaktionsgeschwindigkeit usw. in die Rechnung miteinbezieht läge bei fast 20 Metern. Menschen ist das Nachvollziehen dieser Rechnung zuzutrauen. Dennoch kennt bestimmt jeder der Auto fährt Situationen, in denen es vielleicht knapp geworden ist mit dem Bremsen. Da hat man dann noch mal Glück gehabt. Befindet man sich als Radfahrer*in oder Fußgänger*in zur falschen Zeit am falschen Ort, hat man jedoch kein Glück und möglicherweise fatale Konsequenzen zu tragen.
Zurück zum Lernen: Wenn es die Möglichkeit gäbe, über 600 Menschen zu retten, die in Zusammenhang mit zu hoher Geschwindigkeit in Deutschland ca. jährlich sterben [3], dann könnte man doch Mittel und Wege finden, dies auch Realität werden zu lassen. Könnte? Gibt es schon: Der Bußgeldkatalog [4]. Nachdem das Bundesverkehrsministerium über ein Jahr die Novellierung des Bußgeldkatalogs aufgrund eines Formfehlers blockiert hatte, trat dieses am 09.11.2021 in Kraft. Bei genauerer Betrachtung jedoch wird man schnell enttäuscht. Andere Länder erheben weitaus höhere Strafen als das Tempo-Limit-lose Deutschland.
Ein Vergleich zwischen Frankreich und Deutschland zeigt, dass in Deutschland Raser nur milde bestraft werden. In Frankreich zum Beispiel werden auch geringe Geschwindigkeitsüberschreitungen schon deutlich drastischer bestraft als in Deutschland:
Quelle: bussgeldrechner.com/verkehrsregeln-frankreich | bussgeldkatalog.org
Kann man den Statistiken trauen, dann senkte sich in Frankreich zudem die Zahl der Verkehrstoten, seit der Einführung des allgemeinen Tempolimts [5]. Ob dies nur an der Einführung des Limits liegt oder auch an einer konsequenten Ahndung der Überschreitungen desselben und/oder der Höhe des Bußgelds, kann hier nicht beantwortet werden. Vermutlich kommt das Gesamtpaket an Maßnahme zum tragen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Zahl von Verkehrsunfällen reduziert würde, wenn an der Stellschraube gedreht würde, die alle ungern spüren: Sanktionen. Auch die Schweiz weist zum Vergleich ein gutes Konzept auf: Ab 20 km/h zu schnell beträgt die Buße 165 Euro und ab 50 km/h ist mit 60 Tagessätzen zu rechnen. Zudem wird einkommensabhängig bestraft [6].
Dass die Strafen in Deutschland auch nach der StVO-Novelle viel zu gering sind stellt auch der Zeit Verbrechen Podcast in der hörenswerten Episode Autoraser: Tödliche Angeberei heraus.
Quellen:
[1] Gerrig, Richard H. (Hrsg.) Psychologie. Kapitel 6: Lernen und Verhaltensanalyse. S. 216f.
[3] https://destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Verkehrsunfaelle/Publikationen/Downloads-Verkehrsunfaelle/verkehrsunfaelle-monat-2080700211104.pdf S. 46 (die Werte beziehen sich auf Januar - Oktober 2021)