Die (leider unechte) Fahrradstraße in den G - H Quadraten der westlichen Unterstadt Mannheim, welche 2020 eingerichtet wurde, hat zwar keine Modalfilter, womit Durchgangsverkehre verhindert würden, was in Anbetracht der dort regelmäßig als aggressiv auffallenden Autofahrer*innen wichtig wäre, dennoch trägt sie zur Verkehrsberuhigung in diesem Bereich bei.
Zwei Anwohner*innen hatten Einwände und zogen vor Gericht. Nach drei Durchläufen ist die Fahrradstraße final bestätigt und die Klage abgewiesen:
Runde 1: Widerspruch bei der Stadt
Runde 2: 2022-05: Klage am Verwaltungsgericht abgewiesen
Runde 3: 2023-08: Klage am Verwaltungsgerichtshof (VGH) abgewiesen (Aktenzeichen 13 S 1640/22)
Was waren die Argumente der Kläger*innen?
Fahrbahn zu eng für Autos und Fahrräder
wegen wegfallender Parkflächen entstünden Gefahrensituationen durch haltende Fahrzeuge
Fußgänger*innen würden durch die zusätzliche Außengastronomie gefährdet, da die Straße verengt würde
Leider ist das Verkehrsrecht in Deutschland veraltet und weist eine an Satire grenzende Komplexität auf. Zu den einschlägigen Regelwerken zählen 1) die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV-StVO), 2) die Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen (RASt) und 3) die Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA). Letztere sind nicht online einsehbar, sondern werden proprietär vom FGSV Verlag vertrieben, der für die einzelnen Hefte 60 € und mehr verlangt. Die Hefte können teilweise nur in der "hauseigenen Software FGSV Reader" angeschaut werden. Die ERA sind rechtlich nicht bindend, wobei Fördermittel an die Einhaltung gebunden sein können.
In diesem chaotischen Gefüge spielt sich die Suche nach den Bedingungen für eine Fahrradstraße ab. Wer sich in die Frage der Breite von Fahrradstraßen versenken möchte, dem sei der Artikel "Breite einer Fahrradstraße aus 4 Blickwinkeln analysiert" von Markus Herbst ans Herz gelegt [1]. Zusammenfassend läßt sich sagen - eine eindeutige Aussage, wie breit eine Fahrradstraße sein sollte, kann man nicht treffen.
Die haltenden Fahrzeuge erklären sich möglicherweise durch ein Recht auf Be- und Entladen vor dem eigenen Wohnort. Allerdings sind es oftmals nicht Anwohner*innen die "nur mal kurz" halten, sondern andere Kfz-Fahrer*innen die schnell in die Apotheke gehen oder "nur ganz kurz" in einem der zahllosen Geschäfte etwas kaufen.
Die befürchteten Gefahren für Fußgänger*innen dürften sich durch eine Fahrradstraße nicht verschlechtern. Wenn überhaupt, dann verbessert sich die Situation für Zufußgehende, weil Autofahrende in den Fahrradstraßen eher Rücksicht auf andere Verkehrsteilnehmer*innen nehmen.
Es stellt sich die Frage, wie weltweit autoreduzierte Straßenzüge funktionieren und Superblocks eingerichtet werden können, während in Mannheim regelmäßig Gründe gegen menschenfreundliche Verkehrsinfrastruktur gefunden werden. Die Bestätigung der Fahrradstraße durch das VGH begrüßen wir daher und freuen uns, dass das Gericht in diesem Fall die Klage abgewiesen hat.
Siehe auch:
A dozen effective interventions to reduce car use in European cities: Lessons learned from a meta-analysis and transition management [3]
Implementing Car-Free Cities: Rationale, Requirements, Barriers and Facilitators: A Framework [4]
Die Urteilsbegründung ist aktuell im Justizportal des Landes noch nicht auffindbar. Wir werden eine Verlinkung entsprechend ergänzen, sobald das Urteil dort verfügbar ist.
Die Zurückweisung des VGH ist nicht anfechtbar.
Unterstütze unser Bürgerbegehren. Dein Rückporto übernehmen wir: https://innn.it/QuadRadEntscheid-Mannheim
Komm zu uns auf Signal