Einen Städtebaupreis hat sich Mannheim eingeheimst für das zukunftsweisende Konzept Spinellis [1] und die Aufmerksamkeit überregionaler Fachzeitschriften erworben. [2] Spinelli, das neue Quartier in Käfertal Süd am Nordrand des BuGa 23-Geländes, wurde als autoarmes Quartier konzipiert. [3, S. 119] Damit versuchte die Stadt, einen Baustein zur Verkehrswende zu legen und den Zielen ihres Leitbilds 2030 näher zu kommen. [4] Die Besiedlung begann 2022. Die Rahmenplanung und Bauleitplanung definierten ein Quartier, in dem der motorisierte Verkehr reduziert sein sollte, um Aufenthaltsqualität, Sicherheit und Umweltschutz zu gewährleisten.
Der ruhende Verkehr würde in der Quartiersgarage unterkommen, Kurzzeitstellplätze zum Be- und Entladen sollten vorgehalten werden. In der Rahmenplanung ist dazu folgendes zu lesen:
Ziel ist es, durch die Gestaltung des öffentlichen Raums die nicht-motorisierte Fortbewegung besonders attraktiv, sicher und barrierefrei zu gestalten und so Voraussetzungen für ein rücksichtsvolles Miteinander und autoarmes Wohnen zu schaffen. Kurze Wege innerhalb des Quartiers werden das Zufußgehen und Radfahren ebenso begünstigen wie eine hohe Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum [3, S. 119]
Außerdem wurde ein Stellplatzschlüssel von 0,8 beschlossen und die dadurch eingesparten Ressourcen sollten in Aufenthaltsqualität investiert werden. [3, S. 122] Der Stellplatzschlüssel definiert wieviel Stellplätze pro Wohnung angelegt werden müssen. Generell ist im Bebauungsplan von 2019 für das Parken folgendes festgelegt:
Parken vor oder auf dem Grundstück ist nicht vorgesehen. [5, S. 28]
Es gibt nicht wenige Menschen, für die die Autoarmut im Spinelli Quartier eine maßgebliche Rolle bei der Zuzugsentscheidung spielte. Auf Spinelli wohnen derzeit ca. 800 Menschen, 4000 sollen es werden. Das Versprechen, sie würden in einem autoarmen Quartier eine lebenswertere Umgebung finden als in ihren Herkunftsstadtteilen, droht sich allerdings nicht zu bewahrheiten.
Gefährdungen durch den ungeregelten ruhenden Verkehr
Seit dem Beginn der Besiedlung 2022 werden alle verkehrsreduzierenden Maßnahmen, die im Rahmenplan mit integriertem Verkehrskonzept [5] geplant waren, missachtet. Insbesondere seit Ende der BuGa 23. Aus der Verkehrsproblematik auf Franklin wurde gelernt [6], dass eine Quartiersgarage frühzeitig vorhanden sein muss, jedoch nicht, wie man deren Nutzung sicherstellt. Viele Menschen sind zu bequem, kurze Strecken zu Fuß zurück zu legen, das wurde uns von Anwohnenden bestätigt. Lieber setzen sie ihre Kinder den Gefahren des Autoverkehrs aus.
Die Quartiersgarage steht zu großen Teilen leer und die Autos stehen vor den Häusern. Es ist nicht bekannt, wie die Investoren mit der Verpflichtung zur Kommunikation des Mobilitätskonzepts umgingen, andererseits gibt es m. E. eine Art Selbstverpflichtung zur Information (es gab große Plakate im Quartier), wenn man in ein neues Viertel zieht.
Es gab seitens der MWSP (MWS Projektentwicklungsgesellschaft mbH, Quartiersentwicklerin, Tochter der Stadt, Aufsichtsratsvorsitz hat OB Specht) eine Infokarte, wo im Quartier geparkt werden darf. Diese wurde zwar rege verteilt, doch die Infos werden ignoriert, was die folgenden Fotos belegen (Bildquelle: QEM).
An der Flaniermeile des Quartiers, der Parkpromenade, helfen die Feuerwehrzufahrt-Schilder und Poller nicht, um das illegale Parken zu unterbinden. Hier und u.a. an der Völklinger Straße ist verkehrsberuhigte Zone („Spielstraße“), in der Parken verboten ist. In anderen Straßen dienen die Gehwege als Parkplätze.
Nach inzwischen fast zwei Jahren des Flächenmissbrauchs wird es schwierig werden, das schon zur Gewohnheit gewordene Parkverhalten zu verändern. Offensichtlich blauäugig schrieben die Verfasser*innen des Rahmenplans:
In einem neuen Quartier erreicht man die zukünftige Bewohnerschaft in einer Situation der Veränderung, in der viele offen für Neues sind. Hier bietet sich die Chance, die Weichen für eine nachhaltige und an die Bedürfnisse der neuen Quartiersbewohner angepasste Mobilität zu stellen. [3, S.118]
Der Kommunale Ordnungsdienst ist manchmal in Spinelli vor Ort, sie ahnden Falschparker nur selten. Eine Angestellte sagte einem Falschparker, dass sie auch nicht verstehe, warum er nicht auf dem Gehweg parken solle, es sei schließlich genug Platz!
Gefährdungen durch den fließenden Verkehr
Die Wohnstraßen sind als verkehrsberuhigte Bereiche mit Schrittgeschwindigkeit oder mit Tempo 30 angelegt, doch die gefahrene Geschwindigkeit ist höher. Das gefährdet die hier wohnenden Menschen, nicht zuletzt die Kinder. Mehrere Beinahe-Unfälle sind uns bekannt.
Am zentralen Platz des Quartiers befindet sich eine kurze Strecke, die nur für den Bus freigegeben ist, schräg dahinter steht die neue Grundschule. Auf diesem Abschnitt wurden vor kurzem innerhalb von 90 Minuten 25 verbotene Kfz gezählt. Ein Teil davon waren Elterntaxis.
Die Wohnstraßen im Quartier sind als Einbahnstraßen angelegt und nur 3,5m breit. Auch das interessiert viele Autofahrende nicht, sie nutzen die Einbahnstraßen in beide Richtungen und weichen bei Gegenverkehr auf den Gehweg aus. Dadurch kratzen sie mit überhöhter Geschwindigkeit haarscharf an den Haustüren vorbei, was ein erhöhtes Sicherheitsrisiko für die Bewohner*innen darstellt, insbesondere die Kinder.
Der gut genutzte Radschnellweg hat sich zur Zufahrtsstraße für das Punkthochhaus an der Promenade entwickelt. Bei Radverkehr wird auf den Gehweg ausgewichen. Tatsächlich fehlt dem Haus zudem ein Anliefer-Kurzzeitparkplatz.
Alles politisch gewollt: der Stellplatzschlüssel
Schlimmer kann es nicht kommen, denkt man: Freie Fahrt für Kfz, leeres Parkhaus und Beinahe-Unfälle. Doch dann wurde in der letzten Gemeinderatssitzung Anfang Oktober 2024 der Bebauungsplan für die nächsten Bauabschnitte abgelehnt, weil es Streit um die Anzahl der Stellplätze gab. Für den 3. Bauabschnitt wurde der Stellplatzschlüssel auf 1,0 erhöht.
Zu viel für die linkeren, zu wenig für die rechteren Parteien. Damit fiel der B-Plan durch und bringt nun die weitere Entwicklung von Spinelli ins Stocken [7]. Doch allein schon die geplante Stellplatzschlüssel-Erhöhung zeigt uns, wohin die Zukunft führt: Noch mehr Autos zulasten der Aufenthaltsqualität für Menschen. Man merkt, der politische Wind hat sich gedreht seit OB- und Kommunalwahl. Im Bereich Mobilität werden die politisch gewollten Entwicklungen immer konträrer zum Leitbild 2030 der Stadt Mannheim, in dem steht:
In Mannheim sind klimagerechtes Wirtschaften und Konsumieren, umweltfreundliche Mobilität und ressourcenschonendes Verhalten über-durchschnittlich ausgeprägt [...] Der Autoverkehr ist gegenüber 2019 deutlich reduziert worden. [4, S. 43]
Fazit: Gute Planung macht noch keine gute Wirklichkeit
Effektiv wären sicherlich bauliche Maßnahmen wie Poller, Blumenkübel oder Straßenmöblierung. Leider müssen die Städte heutzutage offensichtlich zugepollert werden, um auch Fuß- und Radverkehr ausreichenden Raum und Sicherheit zu geben.
Ständige Kontrollen seitens des kommunalen Ordnungsdienstes - davon träumen viele in Mannheim, welche die eigene Sicherheit oder die ihrer Kinder im Straßenverkehr nicht mehr gewährleistet sehen, durch eine ständige Bevorzugung des Kfz-Verkehrs.
Wieviel wert ist eine Planung, die nur in der Theorie besteht, in der Praxis aber nicht umgesetzt wird? Es ist offensichtlich, dass die Baufertigstellung, das Aufstellen von Schildern und das Aufmalen von Markierungen nicht ausreicht, um eine Planung in der Realität umzusetzen. Sie muss erst den Praxistest bestehen. Doch wer ist zuständig? Das Planungsamt hat seine Pflicht und Schuldigkeit getan, jetzt geht die Verantwortung an andere Behörden über. Das kann nur funktionieren wenn der politische Wille für ein bestimmtes Konzept besteht und ämterübergreifend verfolgt wird. Schließlich ist es die Aufgabe der Stadtplanung, gesamtstädtische Ziele durch ihre Planung darzustellen und diese gegen Individualinteressen abzuwägen und dann zu verteidigen.
In diesem Fall geht es um die Loyalität zum eigenen Konzept, die Gewährleistung von Raum und Sicherheit für alle Verkehrsteilnehmer*innen und die zukunftsfähige Gestaltung eines neuen Wohnquartiers ohne Autodominanz.
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[2} https://bauwelt.de/rubriken/bauten/Mannheimer-Mischung-spinelli-wohnquartier-buga-2023-3969085.html
[5] https://mannheim.de/sites/default/files/2020-03/A29_Verkehrsgutachten_BPlanAnnaSammet_191216.pdf