Die Sprache, mit der über Verkehrsunfälle berichtet wird, beeinflusst, wie Unfälle von der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Besonders auffällig ist die wiederkehrende Entpersonalisierung in den Berichterstattungen, wenn Autofahrer*innen an Kollisionen mit Radfahrenden beteiligt sind. Anstatt klar zu benennen, dass oftmals Kfz-Fahrende ihrer Sorgfaltspflicht nicht gerecht werden, ist beispielsweise regelmäßig von "Übersehen" die Rede, teilweise noch garniert mit vermeintlich widrigen äußeren Umständen, wie "schlechter Sicht" oder "tiefstehender Sonne". Regelmäßig fahren Kfz in Radfahrende, wohingegen wir noch nie davon gelesen haben, dass ein Fahrrad in ein Kfz fuhr. In Fällen, bei denen die Kfz-Fahrenden die Unfallschuld tragen, verlagern solche Sprach-Tricks die Schuld von den tatsächlichen Verursachern – den Menschen am Steuer – auf das Fahrzeug oder den Unfallort. Es findet eine Schuld-Verlagerung zu Gunsten der Kfz-Fahrenden statt.
Vermutlich steckt dahinter nicht immer böse Absicht. Wir gehen in den meisten Fällen von fehlender Sensibilisierung für das Thema und unreflektierter Sprachanwendung aus.

Doch die Anwendung solch manipulativer Sprache hat ernste Konsequenzen. Wenn vermeintliche Einzelereignisse wie zum Beispiel "Auto touchiert Radfahrer" oder "Radfahrer verletzte sich bei Unfall schwer" schlichtweg falsch dargestellt werden, gibt es für die politisch Verantwortlichen keinen Grund, etwas an den vermeintlich nicht vorhandenen Ursachen zu ändern.
Beispiel aus einer Meldung der Polizei Mannheim
Polizeimeldung: Radfahrerin kollidiert mit Autotür und stürzt [1]
Was eigentlich geschah: Autofahrer verletzt Radfahrerin durch Öffnen von Autotüre
In diesem Beispiel suggeriert die Überschrift der Pressemeldung, dass die Radfahrerin Verursacherin war. Sie kollidiert aktiv mit der Autotüre. Und in Folge ihrer eigenen Handlung stürzt sie dann auch noch. Der Autofahrer, der die Türe unachtsam öffnete und damit offenbar bewußt oder unbewußt schwere Verletzungen bis hin zum Tod von Radfahrenden in Kauf nimmt, kommt in der Überschrift nicht einmal vor.
Die Pressemeldung selbst unterstreicht diese These sogar: "Diese bemerkte die Unachtsamkeit des Autofahrers zu spät und kollidierte mit der Autotür, woraufhin sie stürzte." Die Radfahrerin hätte also nur die Unachtsamkeit bemerken müssen und es wäre nichts passiert. Die perfekte Täter-Opfer-Umkehr.
Liebe Polizei Mannheim - das könnt Ihr doch besser.
"Wenn wir [...] tagtäglich lesen würden, dass auch heute wieder die üblichen acht Menschen aus unserer Gesellschaft teilweise direkt vor unseren Haustüren von anderen Menschen im Straßenverkehr getötet wurden und es hierfür systemische Ursachen gibt, würde das Thema eine ganz andere Aufmerksamkeit bekommen. Diese Sprachmuster tragen dazu bei, dass die Notwendigkeit von Veränderungen im Straßenverkehr und der Verkehrspolitik verschleiert wird." [2]
Bitte lest Euch den Beitrag von Ansgar Hegerfeld durch. Das Thema ist bisher wenig im öffentlichen Diskurs beleuchtet.
Unser Dank geht an den ADFC Frankfurt für den wichtigen Artikel und die weiterführenden Literaturangaben.
Komm zu uns auf Signal 🤝
Unterstütze unsere Arbeit durch deine Spende 🚀
Quellen: